Bibliothek der Zukunft – Teil 2

Lesedauer: 5 Minuten

Der Verband Bibliosuisse formulierte 10 Anforderungen an eine Bibliothek der Zukunft und brachte diese unter der Überschrift «Das Biblioideal» auf den Punkt. In diesem Blog werden die letzten 5 vorgestellt – und 5 Bibliotheken dazu befragt.

Das Biblioideal

«Die ideale Bibliothek liegt am zentralsten Ort ihres Einzugsgebiets und ist Teil eines regionalen und technologischen Verbunds. Sie hat ein eigenes architektonisches Profil und ihr Eingang befindet sich im Parterre. Sie ist täglich mindestens 12 Stunden zugänglich und lädt dank ihrer Möblierung zum Lesen und Verweilen ein. Sie verfügt über alle nachgefragten Medienformen und der Bestand ist durchschnittlich höchstens 5 Jahre alt. Sie spielt eine zentrale Rolle in der Bildungs- und Kulturpolitik im Einzugsgebiet. Das Personal ist kundenorientiert und technikkompetent in Bezug auf alle Medienformate.»
Aus den Richtlinien öffentliche Bibliotheken 2020, bibliosuisse

6. Die ideale Bibliothek lädt dank ihrer Möblierung zum Lesen und Verweilen ein

Bibliothek Volketswil – Frage an Nicole Marquis, Leiterin Bibliothek: Wem haben Ihre Besucherinnen und Besucher die originelle Möblierung zu verdanken? Wer macht es sich auf dem bordeauxroten Sessel und dem zebragestreiften Sofa (siehe Bild) bequem?

«Das Zebrasofa und der bordeauxrote Sessel wurden 2014 für die Neueröffnung, nach dem Umzug ins neue Gemeindehaus, angeschafft. Wir wollten mit dem Zebrasofa einen bequemen Hingucker zum gemütlichen Verweilen aufstellen und der rote Sessel hat als Kontrast sehr gut dazu gepasst.

Die beiden Sitzgelegenheiten werden rege genutzt, Kinder, die Comics, Bücher und Zeitschriften lesen, Jugendliche, die auf dem Sofa tratschen, Social Media konsumieren und natürlich auch mal lesen 😉 – und auch immer wieder Erwachsene, die Bücher anschauen oder ihren Kindern vorlesen. Ich bin überzeugt, dass die Möblierung eine wichtige Rolle dafür spielt, ob die Kundinnen und Kunden gern in die Bibliothek gehen und dort auch länger verweilen.»

7. Die ideale Bibliothek verfügt über alle nachgefragten Medienformen

Stadtbibliothek Winterthur – Frage an Jörg Mühlemann, Leitung Stadtbibliothek: Die Digitalisierung hat auch vor den Bibliotheken nicht haltgemacht. Welche Medienformen bieten Sie an? Was verbirgt sich hinter dem Begriff Bibliothek 4.0?

«Unserer Kundschaft wird ein breites Angebot an E-Books und E-Audios, E-Magazinen und E-Papers sowie Streaming-Angebote für Film und Musik bereitgestellt.

Dabei ist es aber nicht geblieben. Bibliothek 4.0 nimmt die Digitalisierung der Gesellschaft auf und ermöglicht ihren Gästen mit erweiterten Angeboten und Dienstleistungen einen niederschwelligen Zugang. Dazu wurde vor einigen Jahren die Abteilung «Makerspace» implementiert. Angebote sind z.B. folgende:

  • Atelier, Bild- und Tonstudio: Im Atelier können unsere Gäste handwerkliche oder digitale Projekte mit Näh-, Stick- und Overlockmaschinen, Transferpresse, Laser Cutter, 3D-Drucker, Lötstation und Vakuumformer realisieren. Im Bild- und Tonstudio kann man Green Screen, Beleuchtung, Film- und Fotokamera, Aufnahmetechnik für Audio, verschiedene Instrumente sowie eine schallisolierte Tonkabine für Gesang- und Sprachaufnahmen benützen.
  • Robotik und Programmierung: «Roberta – Lernen mit Robotern» nimmt den Nachwuchs mit in die digitale Welt. Ob in Roberta-Lab, in Roberta-Workshops oder in der Robotik-Arena, unsere Mitarbeitenden führen als zertifizierte Roberta-Teachers junge Menschen ab 10 Jahren in die faszinierende Welt der Robotik, Hard- und Software ein.
  • werkStadt: Die Digitalisierung beeinflusst den Alltag der Menschen. Die Behörden stellen viele Angebote nur noch elektronisch auf Portalen zur Verfügung. «WerkStadt» bietet niederschwellige Beratungen zur Stellensuche an. Das Bibliotheksteam unterstützt bei der Zusammenstellung der Bewerbungsunterlagen, hilft bei der Suche nach geeigneten Stelleninseraten oder zeigt die entsprechenden elektronischen Plattformen auf. Ein Ausbau dieses Angebotes ist angedacht.

8. Der Bestand der idealen Bibliothek ist durchschnittlich höchstens 5 Jahre alt

Kantonsbibliothek Aargau – Frage an Dr. Sandra Berger, Leiterin Sammlung u. Ringier Bildarchiv: Kann eine Kantonsbibliothek über einen höchstens 5 Jahre alten Bestand verfügen?

Nein, das geht für uns als Kantonsbibliothek nicht. Wir sind eine öffentliche Bibliothek mit wissenschaftlichem Charakter. Anders als eine Gemeinde- oder Stadtbibliothek haben wir eine grosse historische Sammlung, die auch die Grundpfeiler der heutigen Kantonsbibliothek ist. Wir haben einen gesetzlichen Auftrag, alle Publikationen von und über den Kanton Aargau zu sammeln und langfristig zu erhalten und zugänglich zu machen.

Bei Publikationen, die nicht aargauisch sind, wenden wir seit 2 Jahren ein Aussonderungskonzept an. Bücher, die wir vor 5 Jahren gekauft haben und seit dann keine Ausleihen aufweisen, werden ausgeschieden.

9. Die ideale Bibliothek spielt eine zentrale Rolle in der Bildungs- und Kulturpolitik

Kornhausbibliothek Bern – Frage an Dani Landolf, Direktor: Spielt die Kornhausbibliothek eine zentrale Rolle in der Bildungs- und Kulturpolitik?

Auf jeden Fall! Wir von den Kornhausbibliotheken Bern mit den über 20 Zweigstellen in den Stadt-Quartieren und umliegenden Gemeinden verstehen uns als wichtige Orte für Bildung und Kultur der Stadt.

Nicht nur, dass uns jede Woche Schulklassen besuchen, sondern auch ergänzend zur Schule als Lern- und Arbeitsort mit Infrastruktur (Gratis-WLAN, Laptops und Tablets zum Ausleihen, …) und ohne Konsumzwang. Und das an drei Standorten als Pilotversuch an sechs Tagen die Woche von 7 bis 22 Uhr. Bibliotheken sind Orte des gesicherten Wissens, von Büchern, Zeitungen, Zeitschriften oder auch Filmen, die es auf Netflix nicht gibt – jeweils sowohl in analoger als auch digitaler Form. Dazu bieten wir in unseren Räumen zahlreiche Bildungs-Veranstaltungen an: im Bereich Sprachen beispielsweise Sprachtandems oder Sprachcafés, Beratungen für digitales Basiswissen («Digital-Wegweiser») oder Beratungsstunden zusammen mit dem BIZ und vieles andere mehr.

Bei kulturellen Veranstaltungen bedienen wir aktuell weniger das Segment von klassischen Lesungen, sondern sind stärker im Bereich Kinder und Jugendliche sowie in der Leseförderung aktiv, bspw. mit Kindermatineen, «Märlistunden», Comiczeichnen, «Vorlesen mit Hund» – oder für Erwachsene bspw. die «shared reading»-Veranstaltungen.

Was uns bei all dem auszeichnet und von den meisten klassischen Bildungs- und Kulturangeboten unterscheidet:  Wir bieten sehr niederschwellige Angebote an, der Besuch in unseren Bibliotheken ist kostenlos, Jugendliche bis 25 und Menschen mit Asylstatus können bei uns gratis Medien ausleihen. Die Hemmschwelle, unsere Räume zu betreten, liegt tief und dementsprechend haben wir ein sehr breites Publikum: von Jung bis Alt aller Länder und viele Familien.

10. Das Personal der idealen Bibliothek ist kundenorientiert und technikkompetent

PBZ Zürich – Frage an Felix Hüppi, Direktor: Was versteht man in der Bibliotheken-Welt unter Kundenorientierung? Technikkompetent – wie wird und bleibt man das?

In den Bibliotheken versuchen wir, eine Mischung aus Kundenservice und Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Natürlich wollen wir Fragen und Anliegen der Kundschaft beantworten, aber idealerweise so, dass wir dabei gleich vermitteln, wie man selbst zu dieser Antwort kommt. Es ist uns stets ein Anliegen, Informationskompetenz zu vermitteln, zu zeigen, wie man in der Welt der Daten zu Informationen kommt. Diese Wissensvermittlung sehen wir als zentrale Aufgabe der Bibliotheken und deshalb auch als wichtigen Schritt bei der Kundenorientierung.

Um diese Wissensvermittlung in einer zunehmend digitalen Welt aufrechtzuerhalten, dürfen Bibliotheksmitarbeitende keine Berührungsängste mit neuen Technologien haben. Es gilt, sich neugierig mit dem neusten E-Reader-Modell genauso wie sich mit der neuen Entwicklung im Bereich Technologie auseinanderzusetzen, aktuell zum Beispiel ChatGPT. Ziel ist es nicht, dass unsere Mitarbeitenden alle IT-Profis werden. Das ist auch gar nicht nötig. Es gilt nur, keine Hemmungen zu haben und eine Bereitschaft, auch zusammen mit der Kundschaft herauszufinden, wie man die Sache am besten anpackt. Meist können bewährte Strategien übertragen werden.

Für beide Themen gibt es in den grösseren Bibliotheken regelmässig interne Schulungen, für kleinere Institutionen bieten sich Weiterbildungen des Bibliotheksverbands Bibliosuisse oder der kantonalen Fachstellen für Bibliotheken an. Hilfreich ist stets der Austausch im Team. Meist findet sich eine Person, die schon Erfahrung mit bestimmten Technologien gemacht hat oder einen Tipp hat. Da Bibliotheken nicht miteinander in Konkurrenz stehen, bekommt man mit einem Mail an eine andere Bibliothek schnell an gute Tipps, Vorlagen oder spannende Quellen.

Wir danken allen Vertreterinnen und Vertretern der Bibliotheken ganz herzlich für ihre spannenden Auskünfte!

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